„Mitternachtskinder“ von Salman Rushdie

Gelesene Ausgabe: btb Verlag, München 2013

Aus gegebenen Anlass, Salman Rushdie hat im Oktober 2023 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten, ist es Zeit, eines der buchstäblich wundervollsten Bücher vorzustellen, die ich bislang gelesen habe: Mitternachtskinder.

In dem 1981 erstmals erschienenen Roman erzählt Rushdie die Geschichte von Saleem Sinai, der am 15. August 1947 als eines von tausendundein Mitternachtskindern in der ersten Stunde des unabhängigen Staates Indien in seine Welt hineingeboren wurde. „Wer was bin ich? Meine Antwort: Ich bin die Summe all dessen, was vor mir geschah, all dessen was unter meinen Augen getan wurde, all dessen, was mir angetan wurde. Ich bin jeder Mensch und jedes Ding, dessen Dasein das meine beeinflusst oder von meinem beeinflusst wurde. Ich bin alles, was geschieht, nachdem ich nicht mehr bin, und was nicht geschähe, wenn ich nicht gekommen wäre. Auch bin ich in dieser Hinsicht nicht besonders außergewöhnlich; jedes »ich«  jeder der mittlerweile-sechshundert-Millionen-so-und-so-viele, enthält eine ähnliche Vielzahl. Ich wiederhole zum letzten Mal: Um mich zu verstehen, müssen Sie eine Welt schlucken“ (S. 610).

Saleems Welt handelt von Wäschetruhen und verstopften Nasen, von Fahrradfahrten, die in politischem Aufruhr enden, von guten Hexen und Grenzüberschreitungen in Schlangenkörben und vielleicht auch davon, dass man im Leben wie beim Blick durch ein Leintuch mit Loch immer nur einen Ausschnitt des dahinter liegenden Ganzen sieht. Denn: „Das meiste von dem, was in unserem Leben eine Rolle spielt, findet in unserer Abwesenheit statt“ (S. 678).

Ein Roman, der Grausamkeiten nicht ausspart und dennoch von feinstem Humor durchzogen ist. Schwarz auf weiß gedruckt, aber voller Farben. Ein sehr, sehr intensives Grün.

November 2023