„Ein Mann allein“ von Jean Giono

Gelesene Ausgabe: Verlag Kurt Desch, Wien, München, Basel, 1954

„Ihr wißt vermutlich, wo der Herbst beginnt? Er beginnt genau zweihundertfünfunddreißig Schritte hinter dem Baum, der das Zeichen M 312 trägt, ich habe die Schritte gezählt.“

Der im Roman Ein Mann allein von Jean Giono auf Seite 42 beschriebene Baum steht nahe einem Bergdorf in den französischen Alpen, in dem beginnend mit dem Winter 1843 Menschen verschwinden. Ich zitiere den Satz stellvertretend für die eindrücklichen Naturbeschreibungen in der ersten Hälfte des Buches und, weil er die manchmal überraschend saloppe Sprache des Romans anklingen lässt. 

Ein Mann allein, das ist Hauptmann Langlois, der erstmals in das Bergdorf kommt, um die Vermisstenfälle aufzuklären, später als Wolfsjäger wiederkehrt, schließlich heiratet und sich dort niederlässt. Der Roman erzählt nicht etwa die Geschichte von Langlois, sondern das, was man sich im Ort teils Jahre oder Jahrzehnte später über ihn erzählt. Ein geschickter Schachzug, mit dem der Autor wie unsichtbar eine Grenze zwischen den Einheimischen und dem Fremden zieht.

Giono hat den Roman 1946 geschrieben, 1951 ist er in deutscher Sprache erschienen, 2018 kam eine neue Übersetzung unter dem Titel Ein Mensch allein heraus. Ein „Unbedingt lesen“ ist Ein Mann allein aus meiner Sicht nicht, man muss sich schon durchbeißen. Aber allemal Gelb.

November 2020