Gelesene Ausgabe: Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2. Auflage,
November 2012
Zugegeben, ich bin kein Fan von Charles Dickens. Zu viel düster-nebliges England. Zu viel Armut, Schmutz und Ungerechtigkeit. Ein Vorurteil, das ich wahrscheinlich den Dickens-Verfilmungen zu verdanken haben, die während meiner Kindheit im Fernsehen ausgestrahlt wurden. In Folge dessen habe ich mich die letzten drei Jahre erfolgreich um ein Buch in meinem Regal herumgedrückt: Bleak House von Charles Dickens. Für Sommertage schien es mir zu „niederdrückend“. Im Winter war mir mehr nach Stimmungsaufhellung zumute. Jetzt habe ich es gelesen. Es gehört zum Besten, was ich bislang zwischen zwei Buchdeckeln entdeckt haben.
Im Lauf der 1.151 Seiten verknüpfen und verflechten sich eine Vielzahl einzelner Erzählstränge zu einer komplexen Romanwelt, in der gelacht, geweint, geliebt, gelogen, gemordet und gestorben wird. Sie ist bevölkert von Figuren, die Dickens mit spitzer Feder lustvoll zeichnet. Mit diesen unverwechselbaren Charakteren entwirft er ein Gesellschaftsbild des 19. Jahrhunderts, das dem heutigen des 21. Jahrhunderts zuweilen erschreckend ähnlich scheint. Einziges Manko ist das für meinen Geschmack lauwarme Ende.
Um was es geht: Elternlose Kinder, die versuchen, sich alleine durchzuschlagen. Korrupte Rechtsanwälte und gierige Kreditgeber. Aufrechte Menschen und eifersüchtige Ehefrauen. Gottesmänner und Opportunisten, die sich die Hände in Unschuld waschen. Unternehmer mit Rückgrat und verloren geglaubte Söhne. Unglückliche Mütter und auf Rache sinnende Kammerzofen. Gejagte Bettler, Workaholics und verliebte Tanzlehrer. Klingt nach Netflix-Serie? Ist ein Buch! Dickes, fettes Grün.
Juli 2020