„Am Tag davor“ von Sorj Chalandon

Gelesene Ausgabe: dtv Verlagsgesellschaft, München 2020

Der typisch französische Erzählduktus – irgendwie nah am Menschen, nah am Leben – hat mich gleich für den Roman Am Tag davor von Sorj Chalandon eingenommen. Und dennoch bin ich mit der Lektüre unzufrieden.

Joseph arbeitet in den 1970er-Jahren in einer Kohlenzeche, wird in der Nacht eines Grubenunglücks schwer verletzt und stirbt schließlich. Sein jüngerer Bruder Michel will seinen Tod Jahrzehnte später rächen. Während einer Polizeiermittlung kommt es zur entscheidenden Wende: Schuld und Unschuld müssen vor Gericht neu verhandelt werden.

So spannend das klingt, so sehr zieht sich Am Tag davor in die Länge. Denn Sorj Chalandon erzählt nicht stringent, sondern wiederholt in Endlosschleifen Michels Lamento, das er jedes Mal sparsam um neue Aspekte oder zum Rahmen degradierte Handlung ergänzt.

Das mag dramaturgisch sinnvoll erscheinen. Aber weder dieses Stilmittel noch die Auflösung der Geschichte haben mich überzeugt. Ein schwaches Gelb.

Dezember 2020